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Flip-Flop statt Ideen-Flop, schlanke Verben und Denkweite

Liebe Leserin, lieber Leser,

erfreut hat mich der lebendige Brief einer Hausverwaltung mit der Bitte, die Zahlen zu prüfen – „wir sind auch nur Menschen“, stand dort. Erstaunlich fand ich die Antwort auf meine Frage nach einem Mitgliedsausweis für 2014, dass ich diesen bereits vor 14 Tagen erhalten habe, und erheitert hat mich in einem Forum der als „kollant“ bezeichnete Kundendienst. Hoffentlich kommt das nicht vom französischen „coller“, kleben, und meint, die Firma habe ihn geleimt oder ist allzu anhänglich!

Schlanker korrespondieren ohne Streckverben

Verben beleben Texte. Nun sind so genannte Streckverben oder Funktionsverben zwar auch Vertreter dieser grammatischen Spezies, doch sie brauchen unbedingt ein Substantiv und blähen Korrespondenz und Werbetexte bürokratisch auf –  bitte lesen Sie den Abschnitt und werfen Sie anschließend lustvoll die bösen Konstruktionen raus:

Eine Überdosis von Streckverben ist unbedingt in Erwägung zu ziehen. Erteilen Sie sich selbst die Zustimmung, Ihre Formulierungen einer Prüfung zu unterziehen! Machen Sie die Feststellung, für welche Verben eine Ersetzung durchzuführen ist; treffen Sie die Entscheidung für lebendigere Kommunikation, leisten Sie Verzicht auf die Erstattung von Besuchen, Berichten und Geldbeträgen. Ihre Texterin spricht diese dringende Bitte aus: Ziehen Sie die Vornahme der Änderung ernsthaft in Betracht, und schon bald werden Ihre Kunden und Kundinnen den Nachweis noch lieber ihre Anfragen stellen.

Ich will Sie nicht länger peinigen. Sie sehen selbst, Streckverben lassen das Wasser aus dem Lesefluss und sich problemlos durch einzelne Verben ersetzen.   

Ideen finden mit der Flip-Flop-Technik

Außer für Schuhe und ein elektronisches Bauteil steht der Begriff Flip-Flop auch für eine kreative Technik zur Ideenfindung für einen oder mehrere Teilnehmer. Wie oft haben Sie schon festgestellt, dass Ihnen das Gegenteil oder etwas Übertriebenes von dem einfällt, um das es eigentlich geht? Das können wir dank Flip-Flop nutzen – und das Ganze umkehren! Wenn Sie sich zum Beispiel erfolgreichere Verkaufsgespräche wünschen, dann denken Sie sich aus, wie Sie Ihr Gegenüber so richtig langweilen oder gar verärgern – Sie kommen zu spät, mit unpassender Kleidung, fragen oder haken nicht nach, schwafeln selbst unendlich von Ihrem letzten Urlaub, warten nur auf ein Stichwort, um selbst wieder etwas loszuwerden … Dreht man die Einfälle anschließend wieder um, erhält man die Alternativen (und ertappt sich bei ein, zwei Punkten selbst bei einem Flop) und eine wertvolle To-Do-Liste. Wenden Sie die Technik doch gleich an, wenn Sie auf Ihr Angebot aufmerksam machen möchten:

Aufmerksamkeit, bitte: Attention, Teil 1 der AIDA-Formel

Wie verkaufsentscheidend Buchtitel sind, wissen wir aus eigener Erfahrung. Die Überschrift oder Headline, möglicherweise ergänzt durch eine Subheadline, ist für Ihre Texte genauso wesentlich: der weitere Inhalt kann noch so einzigartig sein – ohne eine fesselnde Überschrift wendet man sich schnell ab. Natürlich hängt es von Ihrer Branche, Ihrer Klientel ab, wie Sie auf Ihr Angebot aufmerksam machen, doch eines wirkt immer: bildhafte Sprache, denn so stecken Ihre Lesenden schon mitten in Ihrem Thema – und können gar nicht anders als dranzubleiben! Sie dürfen auch gerne ein wenig provozieren (wer Rentenversicherungen verkauft, könnte schreiben ‚Mir doch egal, ob ich im Alter überlebe oder nicht‘), mit Vergleichen arbeiten (‚Schäbige Nasszelle oder erholsames Bad‘).

Ein Beispiel aus meinem Privatleben: nach dem Auszug aus einer Wohnung beschuldigte uns ein Mitmieter, wir hätten einen alten Herd im Keller hinterlassen. Den Brief des Vermieters beantwortete ich im Betreff mit dem achten Gebot: „Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten“. Wie Sie Attention zu Interest machen, lesen Sie im März. Bis dahin viel Erfolg mit Ihren Head- und Subheadlines in Ihren Texten, ob auf Pixel oder Papier, AIDA gilt medienübergreifend.

Packen Sie die Gelegenheit beim Schopf

In der kirchlich-musikalischen Vesper zu Neujahr wünschte uns der Pfarrer viele günstige Zeitpunkte, griechisch Kairos, im Gegensatz zu Chronos, der „normalen“, verstreichenden Zeit, die uns alle viel zu oft scheinbar auffrisst. Kairos wurde mit haarlosem Hinterkopf und einem zu ergreifenden Schopf dargestellt – wer den Augenblick, auf den es ankommt, versäumt, packt ins Leere. Ich wünsche Ihnen, dass Sie die Zeichen der Zeit erkennen und auch nicht an Kairophobie leiden, der Angst, sich zu entscheiden. 

Jean Paul: Sprachkürze gibt Denkweite

Jean Paul lebte von 1763 bis 1825 und war ein klassisch-romantischer deutscher Schriftsteller. Aus Johann Paul Friedrich Richter wurde Jean Paul, weil er Jean-Jacques Rousseau verehrte. Ob Sie ihm zustimmen, können Sie ja einmal ausprobieren, wenn Sie die Streckverben entsorgt haben!

Vielen Dank fürs Lesen! Im März zeige ich Ihnen meine frische Sammlung, zitiere aus dem Buch der Bücher, serviere texterische Kreativitätstechniken, beleuchte das Interest von AIDA und erkläre, was es mit dem Spruch „Über die Wupper gehen“ auf sich hat. Haben Sie einen schönen Februar!

Ihre Texterin Petra Große-Stoltenberg